
Bisher kannte ich diese Situationen nur aus dem Fernsehen: Ruderboote, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Über 2000m wie bei EM, WM oder Olympia, oder über 12,7km beim Schleswig Holstein Netz Cup – dem angeblich härtesten Ruderrennen der Welt. Dagegen waren meine Erfahrungen bei den Breitensportregatten Rheinmarathon und Eurega bisher anderer Natur: Entweder man überholte die Gegner relativ locker, oder wurde eben von schnellern Booten überholt. Vielleicht konnte man noch ein paar Minuten gegenhalten, aber dann setzte sich das stärkere Boot ab.
Bei meiner 7. Marathonteilnahme durfte ich nun eine neue Erfahrung machen: Ein totes Rennen zweier Ruderboote über nicht weniger als 20 Kilometer. Dumm nur für mich, dass ich das nicht vom Sofa aus anschauen konnte, sondern im Bug eines dieser Boote saß. Nach dem Start in Leverkusen war die Welt noch in Ordnung. Unsere Mannschaft fand schnell zusammen und wir konnten bereits nach wenigen Kilometern die ersten gegnerischen Boote ein- und schnell überholen. Nur auf unser eigenes Tempo konzentriert, absolvierten wir mit 22'er Schlagzahl die Leverkusener Gerade. Kurz vor Dormagen sahen wir dann ein weißes Boot näher kommen. „Ich dachte zuerst, dass wäre ein Motorboot, so schnell kam das auf uns zu. Doch dann hab ich links und rechts die Skulls gesehen“, kommentierte Michael die Situation später. Die Hoffnung, dass es sich um ein Ruderboot aus einem anderen Rennen handeln könne, verpuffte, als wir die auf dem Bug angebrachte Startnummer 52 lesen konnten. Das Boot des Ulmer Ruder-Club 'Donau' e.V. startete mit uns im Rennen der Männer-Gig-Doppelvierer m. Stm. Masters D und hatte uns auf den ersten 20 Kilometern bereits gute 4 Minuten abgenommen.
Es war also zu erwarten, dass die deutlich stärkeren Ulmer uns binnen weniger Minuten passieren würden. Doch unser Kampfgeist war jetzt geweckt. So einfach wollten wir es den Gegnern nicht machen. Sollten sie ruhig das Rennen gewinnen, aber uns würden sie nicht überholen! Bernd erhöhte den Schlag auf 24, zeitweilig sogar auf 25 Schläge pro Minute, was meinen Puls auf 170 und damit nahe an meinen Maximalpuls schnellen ließ. Wir legten alles in die Schläge, was wir hatten und ab Urdenbach entbrannte der packenste Zweikampf, den ich bisher in meiner aktiven Ruderkarriere erleben durfte. Die Ulmer holten nur noch langsam auf und schoben sich dann parallel neben uns. Zwischendurch gelang es uns immer wieder, einen Corona-gerechten Mindestabstand herzustellen, bis das gegnerische Boot wieder neben uns war.
Aus der Vogelperspektive wäre das bestimmt spannend anzusehen gewesen. Als unmittelbar Beteiligter mit dauerhaft zu hohem Puls war ich allerdings hin und her gerissen zwischen dem Willen, die Ulmer unter keinen Umständen passieren zu lassen, und dem Wunsch, dass dieses Duell doch bitte schnell vorbei sein möge. Diese Gedanken wurden aber durch die Anfeuerung unseres Steuermanns Jochen vertrieben und irgendwann kam im Kopf eh nicht mehr genug Sauerstoff an, um weitere Gedanken zu zu lassen. Nur noch Schlag für Schlag funktionieren und in dem berühmten Tunnel rudern. Als die Ulmer dann trotz mehrmaliger laut angezählter Spurts in Uedesheim immer noch nicht an uns vorbei waren, witterten wir Morgenluft. „Die können nicht mehr, die sind platt!“ rief uns Jochen so laut zu, dass es auch die Ulmer mit bekamen. Deren Steuermann konterte mit „Die packen wir uns jetzt!“.
Kurz hinter der Fleher Brücke passierten wir dann mehrere Schiffe. Dank Jochens souveräne Steuerkünste und der Massenträgheit unserer „Killepitsch“ verschafften wir uns in deren Wellen den entscheidenden Vorsprung von 20m, durch den wir aus dem Blickfeld der Ulmer entkommen konnten. Der Bann war gebrochen und bis zum Ziel konnten wir unseren Vorsprung sogar auf gute 100 Meter ausbauen. Die Ulmer gewannen das Rennen, wir aber das 20 Kilometer dauernde direkte Duell. Wieder an Land zollten sich beide Teams den höchsten Respekt und gratulierten sich gegenseitig zu der erbrachten Leistung und dem daraus resultierende, faszinierenden Rennen. Mein Durchschnittspuls auf den letzten 20 Kilometern lag übrigens bei 165 Schlägen pro Minute. Da soll mir noch mal einer sagen, der SH Netz Cup wäre das härteste Ruderrennen der Welt!
Danke an Bernd, Hajü, Michael und Jochen für das "geile" Rennen! Danke an den Ulmer Ruder-Club 'Donau' e.V. für den spannenden Fight und herzlichen Glückwunsch zum Sieg!